In einem Reiseführer aus dem Jahre 1908 wird das Gebiet der heute zur Stadt Alsdorf gehörenden Siedlung wie folgt beschrieben:
„Ein Weg führt von Mariadorf kommend ins Tal. Im Talgrund und an den beiderseitigen Abhängen wechseln Niederholz, Hochwald, Kieferschonungen, Wiesen und Heideflächen malerisch miteinander ab. Diese reizvollen Einzelpartien gleichen einem Stück Eifel, das unsichtbare Hände dort an der Grenze des Flachlandes hingestreut haben. Man wandert hier zwischen wildverwachsenem Unterholz, Brombeer- und Himbeersträuchern hindurch zur Heide. Selbst dieses Aschenbrödel der Natur hat jetzt das Festgewand übergeworfen.
Für kurze Zeit sind die Ginsterstauden mit goldigen Blüten übersät. Nach rechts schlängelt sich ein Bächlein murmelnd unter Erlen und Weidengebüsch hin zu einem Teich, dem Broicher Weiher. Die linke, schwächere Erhebung des Tales, stellenweise von vereinzelten Baumgruppen und heckenartigem Gesträuch unterbrochen, ist meist in fruchtbares Ackerland und saftgrüne Wiesen verwandelt worden. Tiefeinsamkeit, es schlingt um deine Pforte die Erika das rote Band.
Von Menschen leer, was braucht es noch der Worte, sei mir gegrüßt, du stilles Land.“ In dieser herrlichen, stillen Landschaft entstand ab 1934 der heutige Stadtteil Alsdorf-Broicher Siedlung. Im März 1934 vollzog der damalige Reichsorganisationsleiter Dr. Robert Ley für die heutige Broicher Siedlung, die bis Ende des Krieges auch seinen Namen trug, den ersten Spatenstich.
Zweck der Initiative war, die Wohnungsnot der kinderreichen Bergmannsfamilien zu lindern und ihnen mit einem Eigenheim bessere Lebensbedingungen zu schaffen. Immerhin gehörten zu jeder Siedlerstelle Obstbäume, Sträucher, 6 Hühner, ein Schwein, ein Schaf oder eine Ziege. Zur Bestellung seines ca. 1.200 qm großen Grundstückes wurde jeder Siedler zur Eigenleistung herangezogen. Das einheitliche System der Gartenanlage war vorgeschrieben. Man überließ offenbar nichts dem Zufall und setzte für die Einteilung und Überwachung der ersten Arbeiten einen hauptamtlichen Obmann ein. Während der Reichsarbeitsdienst Straßenbau und Planierungsarbeiten übernahm, erstellte die GEHAG die Gebäude. Nach Beendigung dieser Arbeiten wurden alle Familien im Gartenbau angelernt.
Als Gegenleistung für die staatliche Unterstützung achtete man auf ordentliche und zweckdienliche Nutzung des neuen Eigentums. Vernachlässigte der Siedler diese Pflichten, drohte ihm sogar die Enteignung. Nach dem Einzug der ersten 71 Familien in ihr neues Heim übernahm der Deutsche Siedlerbund den organisatorischen Aufbau der Siedlergemeinschaft. Mit seiner monatlich erscheinenden Zeitschrift gab er seinen Mitgliedern Ratschläge über das Siedlungswesen und den Gartenbau. Wie auch heute jeder Hobby-Gärtner mit Stolz seinen Ernteertrag präsentiert, traf man sich damals zum Erntedankfest, um die erzielten Ergebnisse zu vergleichen. Das Fest erhielt einen würdigen Rahmen durch geschmückte Häuser, einen Festzug und geselliges Beisammensein. Aus dem Erntedankfest entstand im Laufe der Zeit alljährlich das Siedlerfest, das mittlerweile an jedem vierten August-Wochenende gefeiert wird. Nachdem die Gemeinschaft gefestigt war, schlossen sich ihr auch die Anwohner der zehn seit 1929 existierenden Häuser im unteren Bereich der jetzigen Mörikestraße an. Dieser Teil nannte sich bis zur kommunalen Neuordnung „Randsiedlung”. Der nächste Bauabschnitt der Siedlung begann im Jahre 1939. Die Gesellschaft „Rheinische Heimstätten” erstellte im Bereich Graben-, Schloß- und obere Osterfeldstraße neue Eigenheime. Die Auslegung der Siedlerstellen erfolgte nach dem gleichen Prinzip und in der gleichen Größenordnung der Grundstücke wie im ersten Teil der Siedlung. Der Bereich „Siefengraben” stand als Pachtland für das Vieh zur Verfügung.
Der Einzug der Siedler, ebenfalls Bergleute, fiel bereits in das Kriegsjahr 1940. Der Schulbau, der in diesem Siedlungsteil liegt, konnte hingegen durch die Kriegseinwirkung nicht vollständig abgeschlossen werden.
Wegen der verstärkten Kohleförderung für die Kriegsrüstung verzichtete man bis 1943 auf die Einberufung der Bergleute zur Wehrmacht. Als die Bombardierung des Rheinlandes drohte, errichtete die Siedlung in Gemeinschaftsarbeit einen Luftschutztunnel in der Kiesgrube Leuen. Außerdem benutzten die Siedler und ihre Familien das Dynamitlager des EBV und den Keller der Schule als Schutzräume, bis sie im September 1944 evakuiert wurden. Lebenswichtige bzw. überlebenswichtige Bedeutung im Kriege gewannen die großen Gärten und der Viehbestand der Siedlerstellen. Anders als in den Ballungsgebieten der Städte konnte sich die Landbevölkerung hierdurch selbst ernähren sowie durch Tausch und Verkauf ihrer Erzeugnisse die eigene Situation verbessern. Im Zuge der Aufbauarbeiten nach dem Kriege, die bis 1952 abgeschlossen waren, erfolgte auch die endgültige Fertigstellung der Grundschule Grabenstraße, die 1950 eingeweiht werden konnte. In der Mitgliederversammlung vom 12. August 1951 gründete die Siedlergemeinschaft einen Denkmalausschuß zum Bau eines Ehrenmals. Durch Haussammlungen, größere Spenden und unter Mithilfe der Ortsvereine konnten die Kosten der Gedenkstätte und der Tafeln aufgebracht werden. Bereits im Mai 1952 feierte man die Einweihung. Die Pflege des Ehrenmals und der Anlage, die im Laufe der Jahre nochmals gärtnerisch umgestaltet wurde, übernahmen engagierte Siedler unter Mithilfe der Schulkinder, ehe sie in die Zuständigkeit der Verwaltung fiel.
Das Vereinsleben blühte in diesen Jahren auf und der Wunsch nach Begegnungsstätten wurde sehr bald in die Tat umgesetzt. So schaffte sich der SV Grün-Weiß in Eigenleistung seinen Sportplatz, den Pastor Hoppmann 1950 einweihte. Im Jahre 1953 entstand der erste Kinderspielplatz Ecke Osterfeldstraße/Am Ginsterberg. Ein wichtiges Kapitel in der Entwicklung der Siedlung ist der Kirchenneubau im Jahre 1953. Waren während der Hitlerzeit keinerlei offizielle kirchliche Aktivitäten und keine Kirche geduldet, fanden die Siedler in den Nachkriegsjahren für ihren Gottesdienst im unteren Flur der Grundschule eine Notunterkunft. Die schnell wachsende Pfarrgemeinde, die als Pfarrektorat noch bis 1963 von St. Nikolaus, Linden-Neusen, verwaltet wurde, konnte am Pfingstsonntag 1954 die Erstkommunion als erstes Fest in der neuen Kirche feiern. Zwischen den Jahren 1955 und 1960 wurden in mehreren Abschnitten 29 Häuser errichtet. Den größeren Bauabschnitten folgten im Jahre 1961 zehn Häuser auf der südlichen Straßenseite des „Ginsterbergs” für Siedlerkinder. Dazu mußten die relativ großen Grundstücke der Häuser der Grabenstraße geteilt werden. In den Jahren 1964 bis 1967 wurden die verbleibenden Freiflächen durch weitere 15 Häuser bebaut. Damit war das Volumen der „alten Siedlung” erreicht. Die Siedlung beherbergte jetzt mehr als 1.500 Einwohner. Der Ausbau der Straßen und die Kanalisierung begann, nachdem das Straßennetz von den Trägergesellschaften an die Kommune übergeben worden war.
Die sechziger Jahre brachten in vielen Bereichen Umbrüche. Der frühe Bergmannstod infolge der Silikose wirkte sich nachteilig auf das Gemeinschaftsleben aus. Der dadurch bedingte Generationswechsel seit der Siedlungsgründung vollzog sich sehr abrupt. Die Wünsche und Anforderungen der Familien nahmen eine neue Richtung. Neben der traditionellen Pflege des Gartens und der Kleintierzucht wuchs das soziale Engagement. Ab 1968, als die Blumenrather Straße schon lange kein Feldweg mehr war, sondern sich zu einer Durchgangsstraße und zum ständigen Sorgenkind der Siedlung entwickelte, setzte westlich dieser Straße wieder rege Bautätigkeit ein. Das untere Gelände dieses Gebietes war bereits für den Autobahnbau ausgekiest. Es waren wieder die Gesellschaften „Rheinische Heimstätte” und „Rheinisches Heim” und deren Rechtsnachfolgerin, die Landesentwicklungsgesellschaft (LEG), die einerseits für die Kinder der Siedler und andererseits für Familien Vertriebener mit Landanspruch aus den Ostgebieten auf dem entstandenen Bauland die Gebäude errichteten.
Im Abschnitt Marienburger-, Leipziger-, Lausitzer-, Schlesische-, Hertz-, Kopernikus-, Leibnitz- und Greifswalder Straße handelt es sich um Zweifamilienhäuser und Bungalows. Als im Jahre 1972 die kommunale Neuordnung durchgeführt wurde, entschied sich die Mehrheit der Einwohner der Broicher Siedlung für die Zugehörigkeit zur Stadt Alsdorf. Bis dahin war die Siedlung von der Gemeinde Broichweiden verwaltet worden.Immer mehr junge Familien aus den umliegenden Städten und Gemeinden suchten und fanden Mitte der 70iger Jahre im neuen Bauabschnitt der Siedlung erschwingliche, einfache Eigenheime. Die „Landesentwicklungsgesellschaft” teilte den Baugrund in vergleichsweise kleine Grundstücke auf und bot überwiegend Doppel- und Reihenhäuser an, die auf den praktischen Bedarf von kleinen und großen Familien ausgerichtet sind. Die „neue Siedlung” schloß sich mit den Häusern an der Greifswalder-, Tilsiter- und Blumenrather Straße bis zum Jahr 1978. Von 1977 bis 1980 entstand auf dem Grundstück neben der Kirche an der Marienburger Straße ein Block mehrgeschossiger Miethäuser. Der bislang letzte Bauabschnitt, der 1983 begonnen wurde, schließt zur ehemaligen „Randsiedlung”, der heutigen Mörikestraße, auf und verbindet die Siedlung mit dem Naherholungsgebiet „Broicher Weiher”.
Hier löst sich die Bebauung von den Normen der einheitlichen Siedlungsbauweise. Durch die Aufteilung des ehemaligen kircheneigenen Geländes der evangelischen Kirchengemeinde Broichweiden-Hoengen in kleine Parzellen bietet dieser Bereich zur Zeit noch Freiraum. Durch die Erweiterung um den neuen Teil der Siedlung haben sich die bebaute Fläche und die Einwohnerzahl in den letzten 15 Jahren in etwa verdoppelt. Im Zuge dieser Entwicklung wandelte sich auch die Bevölkerungs- und Berufsstruktur. Stand der Bergmannsberuf bei der Siedlungsgründung im Vordergrund, so sind heute durch Nachwuchs und Neubesiedlung fast alle Berufssparten vertreten. Um beim Vergleich zu bleiben: vor ca. 50 Jahren gab es in der Siedlung ein Geschäft, heute hingegen bieten eine Vielzahl von Handwerksbetrieben, mehrere Geschäfte, und eine Poststelle ihre Dienstleistungen an.
aus: Alsdorf Geschichte in Daten
herausgegeben vom Alsdorfer Geschichtsverein – 1991
Artikel von: W. Balduin
für das Internet aufbereitet von Peter Dzinga 2001 /2008
www.alsdorf-online.de